Hiobsbotschaft x2

Aufgrund von Zahlenangaben, die verschiedene Institutionen und/oder Personen gemacht haben, habe ich ein wenig gerechnet. Ich bin für gewöhnlich kein besonders guter Rechner, deswegen weist mich einfach darauf hin, wenn ich Unsinn gerechnet oder gedacht haben sollte.

1. Die Durchseuchung

Heute äußerte sich der Präsident des RKI, Professor Dr. Lothar Wieler, zum Stand der Entwicklung in Sachen Corona-Virus:

Erst wenn die sogenannte Durchseuchung der Bevölkerung bei 60 bis 70 Prozent liege, sei die Pandemie unter Kontrolle, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Derzeit liege man in Deutschland im einstelligen Prozentbereich.

https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-rki-103.html

Das hat mich veranlasst, ein bisschen zu rechnen, Zahlen gerundet:

Wir sind rund 83.000.000 Einwohner (EW). Davon haben sich bisher registriert infiziert: 160.000 EW. Ich haue einfach mal die dreifache Anzahl dunkelgeziffert oben drauf, dann sind es 640.000 EW.

Das entspricht 0,77 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hierfür haben wir ziemlich genau zwei Monate gebraucht. Anfangs lag die Reproduktionszahl »R« noch ziemlich hoch (irgendwo bei 3?), inzwischen haben wir es geschafft, sie auf unter 1 zu drücken. Heute liegt sie wohl bei R=0,75. Wie dem auch sei, wir haben zur Zeit/inzwischen unter 1500 (registrierte) Neuinfektionen mit Covid-19 täglich. Ich haue auch hier einfach mal die dreifache Anzahl dunkelgeziffert oben drauf, dann sind es 6000.

Eine »Durchseuchung« der Bevölkerung von rund 65 Prozent (60-70 Prozent, siehe oben) bedeutete 53.950.000 EW, die infiziert gewesen sein müssen, damit die Pandemie unter Kontrolle wäre.

Bei der soeben angegebenen Neuinfektionsrate von 6000 EW pro Tag würde dieser Prozess (53.950.000/6000) 8992 Tage dauern. Das sind 24,6 Jahre. Äähhhh… ja.

Habe ich da irgendwo schlicht grob falsch gedacht oder gerechnet? Müssen wir von noch viel höheren Dunkelziffern ausgehen? Oder tue ich recht daran, der nächsten Generation schon einmal viel Erfolg zu wünschen bei dem Versuch, die Pandemie in den nächsten 25 Jahren unter Kontrolle zu bekommen?

2. Die Corona-Tracing-App

Bei dem Versuch, eine Smartphone-App zu umreißen, die helfen soll, die Infektionsketten zu ermitteln, indem sie Kontaktsignale via Bluetooth räumlich benachbarter Smartphones aufzeichnet und im Infektionsfall nachträglich die Kontaktkette aufspüren hilft, wird von einer Zahl von rund 60 Prozent der Bevölkerung (respektive der Smartphones?) gesprochen, die diese App installiert haben und laufen lassen müssen, damit eine wirksame Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten wird.

Auch in diesem Fall habe ich ein wenig gerechnet:

Vorausgeschickt: Ich gebe für die folgenden Zahlenangaben keine Quellen an. Es sind einfach zu viele Quellen, aus denen ich mir zu viele differierende Zahlen geholt – und abgewogen – habe. Ich habe dabei versucht, brauchbare Mittelwerte zu bilden, zumal einige Zahlen gar nicht tagesaktuell ermittelbar sind.

Ich gehe von einer Größe der Bevölkerung über 14 Jahre von ca. 70.400.000 EW aus. Gemäß obiger Forderung müssten also rund 42.240.000 EW diese App einsetzen – sofern nicht 60 Prozent der Gesamtbevölkerung gemeint sind.

Nach Zahlenmaterial aus diversen statistischen Quellen, das sich wesentlich auf die Zeit Mitte bis Ende 2019 bezieht, rechne ich damit, dass etwa 82 Prozent der genannten Bevölkerung (über 14) über ein Smartphone (beide Systeme: Android und iOS) verfügen.

In Zahlen: Es gibt 57.700.000 Smartphone-Nutzer über 14 Jahre in Deutschland.

Da zur Funktion der geplanten App eine bestimmte Hardware- und Systemtechnologie im Smartphone verfügbar sein muss, reduziert sich die Anzahl der geeigneten Smartphones:

Android-Smartphones müssen mindestens auf Android 6.0 laufen, Apple iPhones benötigen iOS 13.

Knapp 83 Prozent aller Android-Smartphones arbeiten auf Android 6.0 und neuer. Rund 70 Prozent aller iPhones arbeiten auf iOS 13.

Android hat einen Marktanteil von ca. 75 Prozent, iOS etwa 24 Prozent.

Grob über den Daumen mögen also ungefähr knapp 80 Prozent aller Smartphones bzw. deren Besitzer in Deutschland in der Lage sein, die zukünftige Corona-Tracing-App laufen zu lassen.

80 Prozent von 57.700.000 EW sind 46.160.000 EW.

Wie viele davon werden die App nicht laufen lassen – aus Angst vor Datenmissbrauch oder Überwachungstendenzen, aus schlichtem Desinteresse, aus mangelnder Information, dass es so etwas überhaupt gibt oder weil sie vielleicht nicht in der Lage sind (und keine Hilfe haben), eine solche App zu installieren und lauffähig zu machen (Bluetooth einschalten usw.).

10 Prozent? 15 Prozent?

Dann hätten wir im besten Fall mit rund 41.500.000 Nutzern der Corona-Tracing-App zu rechnen. Bei 15 Prozent mit rund 39.200.000 Nutzern. Ziemlich knapp also…

Auch hier: Wenn ich irgendwo grobe Rechen- oder Denkfehler gemacht haben sollte, bitte gerne in Kommentaren anmerken oder korrigieren.


Kommentare

3 Antworten zu „Hiobsbotschaft x2“

  1. Hinsichtlich der „Durchseuchung“ hatte ich schon mal was von 30 Jahren gelesen… Klar, dass die Daten dahinter leider kaum richtig zu erfassen sind, weil die Dunkelziffer der schon heute infizierten einfach unbestimmbar ist. Wenn wir dein Modell zugrundelegen, zeigt das auch nur, dass wir auf eine Herdenimmunität nicht zählen dürfen, weil ihre Herbeiführung zu unglaublich vielen Toten in der Risikogruppe führen würde. Es führt kein Weg daran vorbei, auf Impfung und Medikamente zu setzen. Sollte das Virus mutieren – was wohl wahrscheinlich ist – können wir positive wie negative Überraschungen erleben, die unsere Vorstellungen ad absurdum führen. Die weitere Komponenten beim Umgang mit dem Virus sind bekannt. Abstand, Masken, Hygiene. Und ab und an werden wir in schlimmen Fällen an neuen regional und zeitlich befristeten Lockdown nicht herumkommen. Alles, was hilft die nötigen Infektionsketten zu identifizieren und aufzulösen, ist ebenfalls gewünscht. Für mich klingen diese Maßnahmen bisher weder unverhältnismäßig noch sind sie aus meiner Sicht vermeidbar. Ich denke, die App halt nicht den hohen Stellenwert, der ihr momentan zugeschrieben wird. Anders verhielte es sich dann, wenn die Systeme zum Einsatz kämen, die in Asien genutzt werden konnten.

    1. Eben. Herden-Immunität ist etwas, das irgendwann einmal sowieso kommt, aber darauf zu setzen, kann fatal sein. Es ist keine Maßnahme in irgendeinem sinnvollen Zusammenhang. Vielleicht für Sozialdarwinisten, leider haben wir davon ja einige in mindestens zwei Parteien und mindestens einen (ganz aktuell in Schwaben!) in einer Partei.

      Ich denke auch, dass diese ominöse App, wenn sie denn in diesem Jahr noch kommt, arg überschätzt wird. Für manche in der Politik scheint sie ja förmlich so etwas wie magisches Neuland zu sein.

  2. Neuland halt. Alle wollens, aber Ahnung haben viele davon nicht. Ich sehe im Hinblick auf die Epidemie die gleiche Entwicklung (Polarisierung) auf uns zurasen wie 2015. Zuerst waren sie alle dafür, jetzt werden die Opponenten immer zahlreicher. Es war ja auch schon nach Fukushima so. Wenn die Leute erst sehen, was ihre eigenen Präferenzen für Folgen haben, kippen sie plötzlich ins Gegenteil. So kann ich keine Politik machen 🙂