Daten-Hehlerei, zum Zweiten

Nachtrag zur Pest unserer Zeit

Was zuvor geschah:

Netzpolitik hatte in einem ausführlichen Artikel über den ausufernden größten Datenschmarotz unserer Zeit, die Machenschaften der weltweit operierenden sogenannten »Tracking-Industrie«, namentlich die »Xandr«-Plattform berichtet, die wohl einen der größten Protagonisten dieser Branche darstellt (und, nicht wirklich überraschend, seit kurzem Microsoft gehört).

[Ok, eigentlich müsste es in Bezug auf »Xandr« Antagonist heißen, nicht Protagonist, denn diese Plattform ist ein Gegner, sie ist in Zielsetzung und Vorgehensweise gegen alle Menschen gerichtet. Von der gerade mal winzigen Handvoll Profiteuren abgesehen…]

Ich erinnerte in einem kommentierenden Artikel daran, dass es am Ende lediglich darum geht, uns alle möglichst zielgenau auf all unseren Endgeräten mit Werbung zu erreichen, zu behelligen, zu belästigen.

Darüberhinaus – und genau deswegen – zeigte ich auf, wie es uns mit recht einfachen, gut dokumentierten Mitteln und ohne allzu großen Aufwand möglich ist, uns nicht nur der Werbung (nahezu vollständig), sondern auch dem vorausgehenden Tracking nebst akribischer Profilerstellung (halbwegs weitgehend) zu entziehen.

Abschließend wies ich in einer Fußnote darauf hin, dass die ganze Angelegenheit allerdings eine politische und gesellschaftliche Dimension hat, die in der bisherigen Debatte nahezu unbelichtet geblieben ist. Es geht vordergründig um uns persönlich passgenau zufließende Werbung…

Ergänzend…

Gestern setzte Netzpolitik die Betrachtungen zum Thema fort, berichtete über weitere Erkenntnisse und vor allem über Reaktionen von Regierungen – sprich Datenschutzbehörden – und inkriminierter Unternehmen auf die aufgedeckten Erkenntnisse.

Netzpolitik untersuchte speziell die Segmentierung und Kategorisierung europäischer Bürger und hat die Ergebnisse übersichtlich in interaktiven Länderkarten zusammengestellt. Überblickartig finden sich die ermittelten inhaltlichen Segmente innerhalb der übergeordneten Kategorien

  • Gesundheit/Medizin
  • Finanzstärke
  • Persönliche Schwächen
  • Religion
  • Kinder
  • Politische Ansichten

und decken damit einen großen Teil ganz normaler menschlicher Lebensführung in europäischen Gesellschaften ab.

Bitte einfach mal am o.a. Ort selbst in den Übersichtskarten klicken, um zu sehen, wie wir alle ausgeforscht sowie segmentiert respektive kategorisiert werden.

Reaktionen?

Wie nicht anders zu erwarten. Was die politische Seite angeht bezüglich Datenschutz gewährender plus Datenmissbrauch sanktionierender Gesetzgebung, ist nichts zu erwarten. Seit der seinerzeitigen Aufdeckung des Ausmaßes dieser parasitären Datenhehlerei im Juni ist NICHTS geschehen, es herrschte — aufschlussreiche — Funkstille. Jetzt dasselbe: einige scheue Verweise auf gewisses Vorhaben-Wollen im Sinne von »Hinweisen nachgehen«. Also? Eben: NICHTS.

Einige der inkriminierten Unternehmen befragt, reichen die Antworten (so es denn überhaupt welche gibt) von den üblichen inhaltsleeren Phrasen-Textbausteinen wie »… Sache prüfen…« über »… im Rahmen der Gesetze…« bis hin zu arroganter Abwiegelung, dass man »nichts zu kommentieren habe«. Da wird die menschenverachtende Ignoranz wenigstens nicht verborgen…

Allerdings… hat jemand von den betreffenden Unternehmen irgendetwas anderes erwartet?

Es geht um Profitmaximierung, und zwar um jeden Preis. Und damit um wirtschaftliche und in der Folge politische Macht. Ethische Fragen sind völlig irrelevant, gesellschaftliche, politische sowie rechtliche Fragen sind bestenfalls marginal relevant. Oft wahrscheinlich eine reine Preisfrage.

Es geht den betreffenden Unternehmen (nein: Unternehmern!) um nichts weiter als die weitestgehende ökomomische und zuletzt soziale Ausbeutung von Menschen. Hierzu werden Menschen gemäß tausender, hunderttausender »Segmente«, die letzen Endes in der werbetechnischen Auswertung Werteskalen entsprechen, in ihrem ökonomischen und sozialen Wert bemessen und kategorisiert. Da wird schließlich auch Racial Profiling nicht lange auf sich warten lassen, wenn es nicht schon längst Bestandteil der Segmentierung ist.

Der persönliche Weg

Wie ich in meinem vorigen Artikel zum Thema ausführlich darlegte, ist es möglich, sich mit geeigneten Mitteln, die jedem auf den üblichen Kommunikationsgeräten frei zur Verfügung stehen, fast vollständig von Werbung freizuhalten und mit Einschränkungen auch gegen Tracking zu schützen.

Gegen einen ausufernden radikalkapitalistischen Sozialdarwinismus und seine zwangsläufigen dunklen Folgen, dessen originären Grundzustand der aufgedeckte, von Netzpolitik und anderen untersuchte und beschriebene Daten-Kategorisierungswahn darstellt, müssen wir uns auf andere Weisen zur Wehr setzen.

Dumm nur, dass uns die Politik dabei sehenden Auges und Kenntnis der Lage tatenlos alleine lässt.


Kommentare

3 Antworten zu „Daten-Hehlerei, zum Zweiten“

  1. Ich bin ja freigiebig mit meinen Daten. Mein leichtsinniges Verhalten ist für dich im Detail vermutlich inakzeptabel. Ich habe unglaublich viele Passwörter und im Darknet kursieren meine E-Mail-Adresse sowie ein paar Passwörter, die irgendwann, irgendwo gehackt wurden. Natürlich habe ich die betreffenden Accounts versucht zu löschen. Manche der Seiten waren gar nicht mehr online. Wie gesagt, der pure Leichtsinn. Ich würde aber meine E-Mail-Adresse deshalb nicht aufgeben, weil das zu viel Arbeit nach sich zöge.

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  2. Boris (Autor)

    Ich hatte schon immer viele E-Mailadressen, selten weniger als 25 bis 35. Meine wichtigsten, persönlichen, tauchen allerdings im Web nicht auf, sie dienen rein dem privaten E-Mailverkehr mit Bekannten, Freunden und Verwandten.

    Alle anderen könnte ich jederzeit löschen oder abändern, wenn sie bespammt würden oder sonstwie kompromittiert wären.

    Auch meine persönlichen Adressen waren schonmal andere und waren irgendwann mal „verbrannt“. Dann bleibt nichts anderes übrig als sie zu löschen.

    Dazu teilt man allen Betroffenen, die man erreichen kann, mit, dass sie bitte den Adresseintrag ändern sollen, weil in (z.B.) drei Wochen nur noch die neue Adresse funktionieren wird.

    Ich würde keine längere Frist setzen, und wer nicht reagiert, hat am Ende halt Pech gehabt. Man muss zum Eigenschutz halt auch mal rigoros sein, wenn’s nötig wird.

    Übrigens:

    Am 26. Februar 2021 habe ich in „Aufgeräumt!“ geschildert, wie ich nutzlos gewordene Foren- oder Shopaccounts ziemlich zuverlässig stillege.

    1. Ich bräuchte bestimmt ewig, bis ich alle meine Hinterlassenschaften weggeräumt hätte und dann könnte ich noch nicht sicher sein, alles erwischt zu haben. Ich gehe eben sehr viel weniger planmäßig mit meinen Daten um. Meine E-Mail-Adresse würde ich nicht (freiwillig) aufgeben, nur weil sie im Darknet gelandet ist. Sie steht doch ohnehin hier im Blog und an irre vielen anderen Stellen. Mitgefangen, mitgehangen. Oder so.