Bin heute früh beim Henning Uhle via Mastodon auf eine Blogparade gestoßen, die interessante Fragen in aktuellem Kontext stellt:
Annette Schwindt fragt, wie wir uns das WorldWideWeb und Social Media in Zukunft vorstellen.
In den vergangenen Monaten hatte es mehrfach Gelegenheit und offenkundig auch das Bedürfnis gegeben, das eigene Dasein als Blogger und als (Nicht-) Teilnehmer in »Sozialen Netzwerken« zu reflektieren – nicht zuletzt bei einigen Bloggern, die schon lange auf verschiedene Weisen publizierend im Netz unterwegs sind.
Annette Schwindt bezieht sich auf Fragen, die ihr von jungen Menschen im Netz gestellt werden: Wie war das Internet früher, bevor sich Social Media mit ihren Algorithmen und ihrer Aufmerksamkeitsökonomie überall breit gemacht hatten, mit all den bekannten unerträglichen Folgen, die wir nun kennen – und die unausweichlich waren, eben weil all diese Netzwerke schon immer genau darauf ausgerichtet waren.
Heute ziehen sich viele und nicht nur ältere Nutzer zurück aus den immer brauner werdenden Jauchegruben der »Sozialen Netzwerke«, und es sollte ihnen eigentlich leicht fallen. Es sind die Jauchegruben von skrupellosen Geschäftemachern, die damit Milliarden verdienen, und die Nutzer und deren mitgeteilte Inhalte sind ihre wohlfeile Beute.
Das war von Anfang an so. Es gab bei Facebook, Twitter und Konsorten nie andere Geschäftsmodelle. Es ging immer nur um das ganz große (Werbe- und Börsen-) Geschäft und darum, in schrankenlosem Narzissmus die Herren der Welt zu spielen.
Sie haben es geschafft.
Heute fragen sich viele, ob es nicht noch etwas mehr gibt im großen Netz. Was können wir tun, wenn wir uns von diesen dampfenden Haufen abwenden?
#SoSollWeb… oder #WieSollWeb?
Natürlich gab es dieses andere, freundlichere, kooperativere Internet früher, es gab Foren, es gab eine lebhafte Bloggerszene. Es gab Netiquette und all das, was mit positiver Kommunikation in Zusammenhang steht. Das mag es auch in den frühen Social Media gegeben haben, aber das war nie das Geschäftsmodell.
All das gibt es allerdings auch heute noch!
Ich habe mich nie vom Bazillus der Social Networks anstecken lassen, denn meine Zeit im WWW begann 1995 bei Compuserve und kurz AOL, was im Grunde die Vorläufer der heutigen Netzwerke waren. Proprietär, mit Nutzungsregeln, mit Pflichten für die Nutzer und Rechten für die Anbieter. Was gewöhnlich bis heute verlogen euphemistisch »Gemeinschaftsregeln« genannt wird.
Spätestens Ende 1996 war ich raus aus diesen proprietären Käfigen, die mir nie etwas anderes als den Anbietern und deren Geschäftsmodellen gefällige »Inhalte« anbieten würden. Wo selbst externe Links unerwünscht waren bzw. sind (Danke an Johannes Mirus für die Erinnerung daran).
Mit Beginn der 2000er Jahre begann die Ära der Blogger, die »Blogosphäre«. Plötzlich konnte jeder, der wollte und sich bri Gelegenheit etwas Know-how anzueignen bereit war, selbst im Web publizieren – und damit kommunizieren. Weltweit im Prinzip. Oder national/regional, was auch gut war.
So lernte man Menschen kennen mit ihren Neigungen, Erfahrungen, Interessen, denen man wahrscheinlich niemals leibhaftig begegnen würde. Faszinierend. Und durch ihre Blogs wurden sie alle zu echten Persönlichkeiten – ihre Blogs wurden zu ihren Gesichtern und Stimmen.
Leider haben das viele wieder aufgegeben und sind auf die Plattformen der kommerziellen Aufmerksamkeitsökonomie gewechselt. Für mich haben sie dadurch ihre einzigartigen Gesichter und Stimmen verloren.
Ja, die Frage ist: Wie soll Web?
Ich sagte es gerade: All das gibt es noch! Wir müssen die Möglichkeiten nur (wieder) nutzen.
Allerdings stieß ich heute morgen beim Lesen von Hennings und Annettes Beiträgen auf etwas, das mir als Dilemma erscheint. Annette hebt auf den – neben dem Bloggen – möglichen Umstieg auf Plattformen des Fediverse wie z.B. Mastodon, Friendica, Pixelfed u.a. ab.
Hier herrschen nicht zuletzt dank Moderation gewisse freundlichere Umgangsformen, Netiquette. Im Fediverse ist das im Grunde gewollt und serienmäßig eingebaut.
Ich persönlich kenne aus eigener Nutzungs-Erfahrung lediglich Mastodon und beobachte dort recht deutliche inhaltliche Orientierungen und eine ziemlich weit verbreitete Neigung, ernsthaft und konstruktiv zu kommunizieren.
Das ist natürlich gut. Aber ich erkenne auch, spätestens seit heute früh, etwas anderes, das mir zu denken gibt. Das möglicherweise dafür verantwortlich ist, das ich meine Nutzung dieses Netzwerks seit einigen Wochen spürbar zurückgefahren habe. Eine gewisse Unzufriedenheit, die mich nun zu einer kleinen Umformulierung veranlasst:
Was soll Web?
Es ist die Frage der Inhalte. Diese Blogparade, die #SoSollWeb formuliert, passt schon genau. Ich würde an dieser Stelle dem »So« und »Wie« noch das »Was« hinzufügen.
Mein gewisses Unbehagen, eine gewisse Leere bei meinen Aufenthalten auf Mastodon sind, so meine morgendliche Erkenntnis, auf mein jeweiliges Einschwingen des Aufregungs-Niveaus angesichts der vorherrschenden Themen zurückführbar.
Das heißt: Ich lese dort kritische bis empörte Beiträge zu zeitnahen aktuellen Entwicklungen in der Welt, die sich damit mehr oder minder differenzierend und sogar gelegentlich erstaunlich weitsichtig auseinandersetzen.
Ich lese solche Beiträge gerne. Keine Frage.
Allerdings bemerke ich, wie sich mit jedem weiteren Beitrag zum jeweiligen (Aufreger-) Thema meine Aufregung und meine Empörung steigern. Es funktionieren natürlich auch bei Mastodon dieselben Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie wie bei den marodierenden kommerziellen Netzwerken. Die Steigerung des Erregungs- und Empörungsniveaus führt, wenn ich nicht aufpasse und eingreife, zu einer von mir nicht gewünschten Fokussierung meiner Aufmerksamkeit auf genau diese Aufreger-Themen.
Dagegen habe ich eine wirksame Maßnahme gefunden, und die heißt schlicht: Ausloggen!
Wenn mein Erregungsniveau eine bestimmte niedrige Schwell überschreitet, verschwinde ich einfach von der Plattform. Ich bin nicht (mehr) bereit, mich in irgendwelche Empörungsspiralen zu begeben, die mich Zeit und Nerven kosten. Dabei ist mir völlig egal, wie wichtig manche Themen aktuell sein mögen: Ich alleine bestimme, über was ich mich empöre, wie intensiv und wie lange ich das tue.
Nun ist es aber so, dass auf Mastodon keinerlei Algorithmen im Hintergrund werkeln, die mir genau diese Aufregerthemen in eine persönliche »Timeline« einspielen. Die Beiträge purzeln ja einfach so in zeitlicher Folge in die verschiedenen Threads rein. Das heißt, ich nutze Mastodon falsch – zumindest, was meine Intentionen angeht. Ich nutze es quasi undifferenziert wie ein reines Nachrichtenportal. Ich gucke erst tagesschau.de und anschließend schaue ich auf Mastodon, was die dort versammelte Community zu den Aufregerthemen meint.
Am Ende lese ich dort immer wieder dieselben Meinungen von immer denselben Leuten – die eben dort die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Eigentlich kann ich mir kaum eine blödere Zeitverschwendung vorstellen. Eigentlich ist das doch überhaupt nicht das, was ich will. Eigentlich begebe ich mich damit genau in die Blasen hinein, die ich vermeiden will, und weswegen ich u.a. die bekannten Social Networks schon immer gemieden habe.
Eigentlich will ich mich im Web bewegen, weil ich mich für viele Dinge interessiere. Ich interessieremich für Musik verschiedener Genres, für Filme verschiedener Genres, für Literatur verschiedener Genres. Für Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, die für interessierte Laien aufbereitet werden. Für Philosophie und Geschichte.
Das WorldWideWeb, das all das bietet, ist längst – und immer noch – da. Es gibt sie, die Themenblogs zu all den Neigungen und Interessen. Die Blogosphäre mag nicht mehr so medial präsent sein wie vor fünfzehn bis zwanzig Jahren, aber sie ist da.
#SoSollWeb ist #WasSollWeb
Tatsächlich, wir müssen unseren Interessen folgen! Was ist es, das wir im Web suchen? Neben den täglichen immergleichen Aufreger- und Empörungsthenen. Die können doch wohl nicht alles sein, oder? Ist das mühselige, frustrierende tägliche Abarbeiten daran nicht ein bisschen wenig? Haben wir tatsächlich schon unsere Lebensqualität an der Garderobe der Aufmerksamkeitsökonomie abgegeben, bereit zum neuerlichen Run zu unserer täglichen Ration Empörung, Aufregung und Frustration?
Ich will nicht dutzende Male täglich in allen medialen Rohren Empörung darüber lesen oder hören (und schon gar nicht selbst darüber schreiben!), wie unsäglich und ungeeignet Friedrich Merz als Kanzler ist. Oder wie gefährlich Elon Musk. Das weiß ich schon. Oder wie nah wir wegen sogenannter »irregulärer Migration«, die von der »Ampelregierung« nicht verhindert wird, gesellschaftlich am Abgrund stehen. Deutschland steht vor dem Ende! Das interessiert mich bestenfalls einmal pro Woche für drei Minuten. Von anderen Aufregern gar nicht zu reden.
Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, vor irgendetwas die Augen zu verschließen oder gar um einen biedermeierlichen Rückzug ins Private. Es geht darum, die eigenen, persönlichen Belange in den Vordergrund zu bekommen und die ständigen Aufregerthemen in den Hintergrund.
Ich will – im Sinne von #SoSollWeb – Blogs, in denen ich die Dinge wiederfinde, die mich wirklich interessieren. Ich will Blogs, wo Leute über Filme, Bücher, Musik, über ihre Blogs, über WordPress schreiben. Über ihre Smartphones und Tablets und PCs. Über ihre Gedanken zu wissenschaftlichen und philosophischen Fragen. Meinetwegen über ihre Motorräder, so sie wie ich welche haben.
Der Witz ist, all das gibt es längst da draußen im Netz. Und alles in freundschaftlicher, respektvoller und höflicher Kommunikation.
Wir müssen es nur immer wieder, und immer mehr miteinander vernetzen.
Der Fluch der Timelines
Alles Social Networks haben diese letzten Endes widernatürliche Struktur: Alle Inhalte sind in »Timelines« gepresst und ringen um unsere Aufmerksamkeit. Diese wiederum wird von Ereignis zu Ereignis gehetzt, Minute für Minute. Die Länge eines durchschnittlichen aktuellen Musikstückes, wie sie in den Social Media konsumiert werden, ist, wie ich irgendwo las, inzwischen bei deutlich unter drei Minuten angelangt. Und der Gesang muss immer sofort ab Beginn einsetzen, sonst ist die Aufmerksamkeit des Konsumenten schon zum nächsten Stück abgewandert. Bzw. gehetzt
Natürlich ist das so! Das entspricht der Natur dieser Medien. Es geht nicht um Musik. Es geht lediglich um die permanente Aufrechterhaltung maximaler Aufmerksamkeit. Es geht schlicht um Milliarden Dollar schwere Werbe-Marktplätze.
Am Ende gelten dieselben Prinzipien – nicht die kommerziellen – auch für z.B. Mastodon. Auch hier herrscht das Gebot des gerade aktuellen Aufregers. Nein, nicht mehr dieses, jetzt schon des nächsten Aufregers. Blättert da jemals jemand zurück?
#SoSollWeb bedeutet für mich also auch eine Hinwendung zu einer gewissen Langsamkeit. Zu Gleichmut und gestreuter Aufmerksamkeit. Folge deinen Interessen, folgt euren Interessen. Warum nicht mal wieder Blog-Hopping (Link-Hopping von Blog zu Blog) treiben? Ich habe das früher gerne gemacht und mache es inzwischen wieder häufiger. Wer weiß, wo man am Ende landet?
Friedrich Merz ist auch morgen noch ein völlig ungeeigneter Kanzlerkandidat und Elon Musk ein inkompetenter Trottel (»incompetent fool«), und Deutschland wird auch morgen noch am einzigen verbliebenen Problem auf der politischen Bühne untergehen (psst: die »illegitime Migration«, nur, falls ihr’s noch nicht wusstet) – aber für diese minütlich in den »Sozialen Medien« neu zu gewinnenden Erkenntnisse muss ich mir nicht noch den Abend versauen.
Da gucke ich mir lieber zum freitagabendlichen Ausklang auf Youtube ein paar lustige Katzenvideos an.
Die wiederum, auch und wirklich, Bestandteil meiner persönlichen Vorstellung von #SoSollWeb sind.
Weil das Thema eigentlich nicht ganz neu ist, mich schon immer interessiert hat und es sich ja allgemein um die Frage dreht, wie wir das Netz nutzen (wollen), hier noch ein paar Links zurück auf ältere Artikel, die ähnliche Fragestellungen beinhalten:
Und dort gibt’s jeweils Links zu anderen Blogs usw. War da nicht was von wegen Vernetzung im Netz?

Apropos Vernetzung und Dinge, die uns interessieren:
Jazz, Trompete: Nils Wülker
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