Über Tote redet man…

Ja, wie redet man… nicht schlecht? Besser gar nicht? Nur über Gutes?

Horst Schulte äußert sich aus seiner persönlichen Sicht zu einem gerade aktuell bemerkbaren Aspekt einer solchen Angelegenheit, im Fall des Todes von Wolfgang Schäuble (1942-2023). Nämlich über den auffälligen Umstand, dass sich offenbar viele über zu positive Nachrufe auf diesen langjährigen Aktiven, aber auch Zeitzeugen und Wegbegleiter deutscher Politik beschweren.

Anstatt dort zu kommentieren, schreibe ich mal hier als Autor einige Zeilen zu meiner persönlichen Sicht.

Vom passenden Zeitpunkt

Der Ausspruch, die moralische Forderung »Über Tote (Verstorbene) redet man nicht schlecht« gilt m.E. für den unmittelbaren Zeitraum um den Todesfall. Neutrales Beispiel:

War der/die Verstorbene nach Überzeugung aller Betroffenen ein abgefeimtes Arschloch, ein verachtenswerter Mensch, dem/der man bei bestem Willen keine positive Eigenart zuschreiben kann, dann verzichte man auf eine Trauerfeier mit Rede im Familienkreis. Man bestelle, wenn überhaupt, eine neutral formulierte Todesanzeige und schweige.

Ist die förmliche Angelegenheit abgeschlossen, das Erbe verteilt etc., dann, erst dann möge jeder, wie er mag… ihr wisst schon…

So viel Respekt sollte jeder sich als zivilisiert betrachtende Mensch einem anderen Menschen im Angesicht des Todesfalls entgegenbringen, ganz egal, welch ein unerträgliches Monster der Verstorbene gewesen sein mag. Ja, auch Adolf Hitler, Pol Pot, Osama Bin Laden und Jürgen Bartsch – und welchen anderen menschlichen Monstern auch immer – gebührt dieser singuläre mit-menschliche Respekt in diesem speziellen Moment.

Das kann und darf man anders sehen — ich aber sehe es so.

Allerdings – war Wolfgang Schäuble ganz sicher kein Monster…

Aufarbeiten…

…sollte dem Nachrufen folgen. Ja, sollte.

Nun waren für ganz kurze Zeit alle Krisen vergessen, Wolfgang Schäuble war gestorben. Es rief nach und rief nach überall dort, wo Leser und Hörer nicht rechtzeitig auf die Bäume gelangt waren, um sich dem zu entziehen. Mir gelang es einigermaßen, dem guten Horst eher nicht. Aber auch mir reichte es zu dem verschwommenen Eindruck, dass da eine Nachrufstimmung aufgekommen war, dass ein ganz Großer von uns gegangen war.

Und an anderen Orten vernahm ich wohl gewisse verärgerte Befremdlichkeit darob. Empörung gar. (So altertümlich geschwollene Sätze wollte ich schon lange einmal schreiben… ob das etwas mit Torsten Sträter zu tun hat?)

Die Spanne reicht vom alle Untiefen überpinselnden nachrufenden Lobhudel bis zur wütenden Empörung angesichts der nun historisch gewordenen Untiefen.

Am Ende hat Horst recht.

Und ich bin noch eine aufarbeitende, kurze und persönliche Würdigung schuldig.

Zum Schluss, in Kürze

Wolfgang Schäuble war sicher einer der einflussreichsten Politiker der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg. Er prägte maßgeblich nicht nur seine Partei mit, sondern ebenso unbeirrt auch die Geschicke meines (seines) Landes.

Auch wenn ich politisch sicher eine große Strecke weit anderswo beheimatet bin als er es war, gehörte Schäuble immer zu der kleinen Riege Politiker, mit denen ich gerne an einem Tisch gesessen hätte, um über politische, gesellschaftliche und philosophische Fragen sowie überhaupt den Lauf der Welt im Allgemeinen zu diskutieren. Weil es fruchtbar gewesen wäre.1

Allerdings zähle ich ihn auch zu der Riege Politiker, die ich mitverantwortlich mache für meine inzwischen auch schon Jahrzehnte anhaltende Politik- und Parteien-Verdrossenheit. Der als Macht-Politiker zusammen mit seiner Partei eben auch bereit war, für den Weg zur und den Weg an der Macht den korrupten Weg zu gehen. Und der, als die (noch gar nicht endgültig ausgemessenen) weitreichend geschmierten Umtriebe seiner Partei aufgeflogen waren, gänzlich unfein arrogant, verärgert quasi mit einer wegwerfenden Handbewegung, diese vom Tisch der Öffentlichkeit zu wischen gedachte.


Ich denke, dies war kein Nachtreten, kein ’schlechtes Reden‘ über einen kürzlich Verstorbenen, sondern eine angenessene persönliche Würdigung, die alle Facetten eines verstorbenen Menschen berührt, die für mich persönlich Bedeutung haben.


  1. Für mich ist es immer ein persönlicher Gradmesser für Respekt und Achtung gegenüber Menschen mit anderen, gegensätzlichen Auffassungen, politischen Haltungen u.ä., wenn ich bereit wäre, mich mit ihnen in gepflegter Runde an einen Tisch zu setzen, um über Fragen von Politik und Gesellschaft zu diskutieren. Es gibt gänzlich anders politisch verortete Menschen, ‚politische Gegner‘, mit denen ich das jederzeit tun würde, und es gibt solche, bei denen ich es kategorisch ablehnen würde. ↩︎


Kommentare

2 Antworten zu „Über Tote redet man…“

  1. Genau so. Es hat viel Zeit gegeben, sich mit Schäubles Wirken auseinanderzusetzen. Er hat sich Diskussionen, soweit ich es beurteilen kann, selten verweigert. Er stand auch mir politisch überhaupt nicht nahe. Das Gegenteil war der Fall. Und trotzdem: Er hat in seinem Ermessen und gemessen an allem, was er als aktiver Politiker getan und nicht getan, erfahren und nicht erfahren hat, für unser Land viel geleistet. Er hat einen anständigen Nachruf verdient. Scheinbar ist die Haltung zum Anachronismus verkommen. Schade.

  2. Besonders an ihm war m.E. sein Standing nach dem Anschlag – einfach weiter machen, trotz Rollstuhl. Da hatte er mein Mitgefühl und auch eine gewisse Bewunderung.
    Ansonsten stimme ich allem zu, was du schreibst!

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